"TXXL - Upscaling Textiles" ‐ Grobgewirke als funktionale Flächen, 2018/19

Christiane Sauer, www.formade.com, sauer@formade.com 

Im Rahmen des Forschungsvorhabens TXXL-Upscaling Textiles wurden die Potentiale der textilen Verfahrenstechnik Grobwirken für funktionale architektonische Innenraum-Elemente anhand von Materialstudien und Demonstratoren getestet. Das Grobwirken stellt eine Sonderform der Wirktechnik dar, mit der garnartige Elemente bis zu einem Durchmesser von 30 mm Materialstärke verarbeitet werden können. Es lassen sich flexible Flächen mit einer Stärke von bis zu 3 cm und einer Breite von 1 Meter in freien Längen von der Rolle herstellen. So kann diese textile Technologie in einem Maßstab, der architektonischen Werkstoffen entspricht, eingesetzt werden. Grobwirken wurde bislang meist im Bereich der technischen Anwendungen z.B. für Geotextilien in der Böschungssicherung eingesetzt. Die Herausforderung dieses Projektes war, Gestaltungsansätze zu entwickeln, die zusätzlich zu den technischen Eigenschaften auch gestalterische Ansprüche erfüllen. Im Verlauf der Testreihen wurde insbesondere auf nachhaltige und kostengünstige Konzepte für Raum-Akustik und Raum-Klimatisierung abgezielt und entsprechende Materialien wie Recyclingfasern oder Phase-Change Materialien (PCM) dahingehend untersucht. Alle Demonstratoren binden die Komponenten ausschließlich durch textile Konstruktion, durch die sich die einzelnen Elemente nach ihrem Lebenszyklus wieder sehr einfach lösen und in die Ausgangsmaterialien trennen lassen. Dies ist gegenüber herkömmlichen baulichen Elementen, bei denen funktionale Komponenten z.B. durch eine bindende Matrix oder durch Laminierung fest eingebunden sind, ein großer Vorteil.

Im Herstellungsprozess wurden faserartige Komponenten zunächst durch ein spezielles Verfahren zur Strangherstellung (Kemafil®) zu flexiblen, zentimeterstarken "Garnen" verarbeitet und anschließend durch Grobwirken zu Flächen gebunden. Die umgesetzten Beispiele zeigen eine große Bandbreite an Möglichkeiten, auf einfache Weise funktional wirksame und flexible textile Halbzeuge herzustellen. Vorhangartige Bahnen, die vor Fenstern, Wänden oder frei hängend als raumbildende Elemente eingesetzt werden können, dienen zugleich als Akustik- oder Klimaelemente. Es entstehen leichte, flexible Module für den Innenraum, die sich „von der Rolle“ jeder gewünschten Länge und Geometrie anpassen, leicht transportierbar, gut verstaubar, kostengünstig und einfach zu montieren sind. Insbesondere wurden nachhaltige Materialkonzepte untersucht wie z.B. Recycling von Alttextil (Reißfasern), von Filzabschnitten aus der Textilindustrie oder auf nachwachsende Rohstoffe wie Hanfreste aus der Dämmstoffindustrie. Zur klimaregulierenden Funktionalisierung wurde mit paraffinbasiertem Phase-Change Material (PCM) gearbeitet, das Temperaturspitzen im Innenraum abpuffert und so z.B. vor Überhitzung oder Abkühlung durch große Glasflächen schützt. Hierfür wurden funktionalisierte, nicht-textile Elemente wie Schläuche oder Stäbe in Schussrichtung während des Wirkprozesses in das Material eingearbeitet.

Raumakustik: Pflanzenfasern oder Alttextilien werden bereits vielfach zu Schalldämmzwecken eingesetzt, allerdings nicht als flexible Vorhangelemente. Im Rahmen der Forschungsarbeit wurden neue gestalterische Ansätze für eine Verarbeitung von ästhetisch minderwertig bewerteten Alttextilien, textilen Industrieresten oder Dämmstoffen entwickelt. Die Fasermaterialien werden hierbei wie angeliefert unmodifiziert übernommen. Ihre aufgrund der Faserstruktur dämmenden Eigenschaften bleiben erhalten und werden direkt zur akustischen Absorption genutzt. Es ergeben sich optisch und haptisch ansprechende Oberflächen, die ihren Ursprung nicht verstecken, sondern im Gegenteil als individuelles Gestaltungsmerkmal nutzen. Die textile Verarbeitung der entstandenen Demonstratoren überführt Recycling- bzw. Restmaterialien in einen hochwertigen gestalterischen Kontext. So entsteht ein Upcyclingkonzept, das das Ausgangsmaterial durch Überführen in einen neuen Anwendungsbereich aufwertet. Insbesondere zur Nachrüstung bestehender Räume eignen sich die gewirkten Bahnen, die leicht transportiert und montiert werden können. Darüber hinaus haben textile Flächen den Vorteil, dass sie als verschiebbare Elemente individuell an unterschiedliche Nutzungsszenarien oder akustische Ansprüche angepasst werden können und frei hängend zugleich zur räumlichen Gliederung dienen können. Die Textilien wurden gestalterisch so konzipiert, dass sie sich in ein Wohn- ebenso wie in Büro- oder Schulumfeld gleichermaßen gut einfügen. In Arbeits- und Lernumgebungen stellt gute Akustik einen entscheidenden Faktor für Wohlbefinden, Aufmerksamkeit und Nutzerkomfort dar. Die Ergebnisse zeigen dafür kostengünstige und ressourcenschonende, nachhaltige Lösungswege auf.

Raumklima: Da gerade Fensterbereiche und große Glasflächen für zusätzlichen Wärmeeintrag im Gebäude sorgen, können neben einem effizienten außen liegendem Sonnenschutz durchaus auch klimapuffernde Vorhänge im Innenraum als einfach nachzurüstende Maßnahme der Klimatisierung geeignet sein. Im Rahmen von TXXL wurden klimatisch wirksame Phase-Change Materialien (PCM) als Stab oder Schlauch mit textiler Technologie eingearbeitet. Die entstandenen Flächenvorhänge können vor Fenstern oder auch frei im Raum hängend als Raumteiler eingesetzt werden. Die PCM Elemente speichern tagsüber Wärme und geben diese zeitverzögert bei Abkühlung nachts wieder an die Umgebung ab. Eine massenmäßige Einbindung von PCM-Material in Röhren oder Schläuche mit 1-2 cm Durchmesser hat den Vorteil, dass relevante Mengen des aktiven Materials eingebunden werden können. Gegenüber bereits existierenden PCM beschichteten Fasern, aus denen ebenfalls Textilien gefertigt werden können, ist eine signifikante Steigerung der Wirksamkeit durch die größere Masse des eingebrachten aktiven Materials erwartbar. Je nach klimatischer Anforderung und Raumgröße kann die Anordnung und Dichte der Stäbe bzw. Schläuche angepasst werden - dies bei gleichzeitiger Durchsicht und mit optischem Bezug zum Außenraum. Der sichtbare Phasenübergang von fest zu flüssig stellt zudem ein faszinierendes optisches Schauspiel dar. Eine Nachrüstung in bestehenden Gebäuden ist einfach möglich. Die technischen Elemente sind an Nutzungsänderungen oder individuelle Vorlieben anpassbar und können wie Flächenvorhänge einfach zur Seite geschoben oder leicht ab- oder umgehängt werden. Klimatechnik wird nicht mehr versteckt, sondern zu einem aktiven und gestaltbaren Element im Raum. Durch dieses Konzept der "Smart Material" Klimatextilien ließe sich der Energieverbrauch durch herkömmliche Klimaanlagen reduzieren oder möglicherweise ganz ersetzen. Technische Messungen der Demonstratoren sollen im Rahmen künftiger Studien weitergehende anwendungsorientierte Erkenntnisse liefern.