Die Stiftung

Die Fritz und Trude Fortmann-Stiftung für Baukultur und Materialien befasst sich mit dem Verhältnis von Baukultur und den Bedingungen ihrer Materialisierung. Sie fördert die Entwicklung zukunftsfähiger Baustoffe und Konstruktionsweisen sowie Forschungen zu den ökologischen, funktionalen und atmosphärischen Eigenschaften von Materialien.

Die Fritz und Trude Fortmann-Stiftung wurde Ende 2013 gegründet und als gemeinnützige, rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts anerkannt. Nach der Konstituierung des Kuratoriums begann im Jahr 2015 die inhaltliche und programmatische Stiftungsarbeit.

Die Stiftung trägt den Namen der Unternehmer Fritz und Trude Fortmann. Die Chemikerin und der Kaufmann beschritten nach dem Zweiten Weltkrieg, in einer Zeit des architektonischen und städtebaulichen Aufbruchs, neue Wege bei der Entwicklung von Materialien für das Bauen. In diesem Sinne wird das Aktionsfeld der Stiftung rund um das Thema „Baukultur und Materialien“ gesetzt und kontinuierlich vergrößert.

BIOLUMINESZENZ
Plakat Förderprogramm 2023/2024

Der Zweck der Stiftung ist die Förderung von Wissenschaft und Forschung auf dem Gebiet des Bauwesens zur Förderung von Baukultur und Materialien. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Wechselwirkung von Bauten und Materialien. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Materialien altbekannt oder neuartig sind. 
Ziel ist die Entwicklung und Stärkung baukultureller Qualitäten im Kontext ihrer stofflichen Konkretisierung. Die Fragestellung ist reziprok:
Wie kommt die Idee ins Material?
Wie wird die Idee materialisiert?
Der Begriff Baukultur wird seitens der Stiftung – entsprechend dem Baukulturbericht 2014 / 2015 der Bundesstiftung Baukultur – als Arbeitsdefinition wie folgt umschrieben: „Baukultur ist ein zentrales Element der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Lebensumwelt. Baukultur ist wesentlich, um eine als lebenswert empfundene Umwelt zu schaffen. Sie hat neben sozialen, ökologischen und ökonomischen Bezügen auch eine emotionale und ästhetische Dimension. Ihre Herstellung, Aneignung und Nutzung ist ein gesellschaftlicher Prozess, der auf einer breiten Verständigung über qualitative Werte und Ziele beruht. (...)“
Die Realisierung des Stiftungszweckes erfolgt durch Förderung fremder Aktivitäten, Durchführung eigener Projekte, Förderung von Kooperationen, Meinungsaustausch und Meinungsbildung, sowie die Vergabe von Stipendien.

Die Bewältigung der Aufgaben der Stiftung erfordert einen hohen Sachverstand in geistes- und ingenieurwissenschaftlichen, kaufmännischen sowie ästhetischen Themen. Dies kann nur durch das Zusammenspiel mehrerer, hochwertiger und gut koordinierter Instanzen geleistet werden. Die aktuelle Gremienstruktur stellt sich daher wie folgt dar:
Die Stiftung verfügt über Kuratorium und Vorstand als Organe.
Das Kuratorium ist strategisches Beratungs- und Kontrollorgan, ähnlich einem Aufsichtsrat. Es setzt sich aus Persönlichkeiten zusammen, die durch ihre Tätigkeit besonderes Interesse und praktischen Bezug zu den Aufgaben der Stiftung nachgewiesen haben.
Der Vorstand führt die Geschäfte der Stiftung, bereitet die Beschlüsse des Kuratoriums vor und führt diese aus und ist für die prinzipielle (Vor-) Prüfung und Durchführung der Programme und Maßnahmen verantwortlich.
Zusätzlich steht den Organen als unabhängige, selbstständige Instanz ein nicht organschaftlicher, beratender Beirat zur Seite, dessen Mitglieder die natur-/ingenieurwissenschaftlichen und ästhetischen Belange der Stiftungsziele vertreten.

Gremien

Kuratorium

Prof. Dr. Susanne Hauser
Dr. Ursula Kleefisch-Jobst
Prof. Dr. Michael Mönninger
Prof. Dr. Ingeborg Reichle

Vorstand

Nicola Fortmann-Drühe
Dr. Thomas Durchlaub, MBA

Beirat

Gerhard Spangenberg
Prof. Dr.-Ing. Alexander Hückler

Neue Baustoffe. Texte zum Thema Baukultur und Materialien

Wie kommt die Idee ins Material?
Gerhard Spangenberg

Die Wirklichkeit ist für uns eine materielle Tatsache, anfassbar und  gedanklich erfassbar mit einem gegenwärtigen Jetzt, einer erinnerten  Vergangenheit und einer vorgestellten Zukunft. Das setzt eine existierende Außenwelt voraus. Wissen und Handeln verbinden uns auf kausale Weise mit dieser Außenwelt. 

Projektförderung 2018/19
Sinn für Material – Material für die Sinne
Bauen mit Salz
Prof. Dipl.-Ing. Florian Musso, MSc Vesna Pungercar, Lehrstuhl für Baukonstruktion und Baustoffkunde der TU München.
Fast die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in wasserarmen Gebieten. Eine Lösung diese Wasserknappheit zu bewältigen, ist Meerwasser zu entsalzen. Zahlreiche Entsalzungsanlagen, die Trinkwasser aus Meerwasser gewinnen, führen das entzogene Salz jedoch in großen Mengen in das Meer zurück, so dass in der Folge Fischbestände, Korallen und Wasserpflanzen bedroht sind. Um dieser Problematik entgegenzuwirken werden Möglichkeiten untersucht, Salz als neues Baumaterial für architektonische Anwendungen einzusetzen.

Tatsächlich aber ist das „Da-Draußen“ ein Feld aus elektromagnetischer Strahlung und eine wogende Mischung meist unsichtbarer Wellenlängen. Es ist kein bewusstes Realitätsmodell. Durch die kognitiven Neurowissenschaften wissen wir, dass das erlebte Draußen ein mentales Modell ist, erzeugt durch neuronale Netze – eine Informationsarchitektur im Gehirn, bei der Milliarden feuernder Nervenzellen miteinander verknüpft sind und ständig neue Aktivitätsmuster bilden, die den Fluss des bewussten Erlebens erzeugen. Material ist nicht vorhanden, sondern wird erst im menschlichen Gehirn zum sinnbildlich wahrnehmbaren Abbild von Material. Material wird konstruiert. Bild, Material, Gegenstand sind Eines. 

Die durch permanent feuernde Neuronen gebildeten tanzenden Muster im zentralen Nervensystem erzeugen ein komplettes mentales Modell, das ständig durch Sinneswahrnehmungen und kognitive Vorgänge geformt, verformt und aufgewühlt wird. Wenn wir Aufmerksamkeit auf unsere Denkvorgänge lenken, ertappen wir uns im Zustand des Wissens. Man weiss, dass man etwas weiss; denkt, dass man etwas denkt. Wir werden gewahr und erleben Seinsgewissheit. Am Ausgang der Kindheit war man noch in der Lage, das zu erfahren. In einem derartigen Bewusst seinszustand wird die grundlegende Subjekt-Objekt-Struktur des Er lebens transzendiert, d. h. über einen Bereich hinaus in einen anderen hinübergehend erlebt. Das ist Metaphernbildung: Zusammenschluss von Vorstellungen, von denen die eine die andere hervorruft. Ein Ding durch ein anderes Ding zu bezeichnen ist bildhafte Übertragung. Metapher- bildung ist also der Prozess, in dem ein Phänomen aus seinem eigentlichen Bedeutungszusammenhang in einen anderen übertragen wird. Hier ist poetische Produktion am Werk.

Metaphernbildung hilft, die Brennweite und Tiefenschärfe menschlicher Wahrnehmung zu vergrössern. Die Blickfelderweiterung entfaltet sich im Abtasten der Feldprofilierung und im Geländespuren bis zu Images von Zukünften. Damit geht die Gewinnung von neuen Sinnzusammenhängen einher. Metaphorisches Denken und Handeln heisst, gewohnte Materialverwendung als metaphorisches Sinnbild für Verwandlung und Entwicklung zu begreifen. Um die materielle Wirklichkeit neu aufzuladen, die durch die Alltagsroutine an den Rand des Bewusstseins gerückt ist, müssen wir Distanz zur Gewohnheit aufbauen. Durch Entlastung von Nutzen und Bedeutung lassen wir das Material fremd, wertfrei und kalt werden. Intuitiv werden vorübergehend die Eigenschaften eines Gegenstandes wie Farbe, Oberf lächentextur, Kantenzeichnung eines zusammenhängenden visuellen Modells verwischt. Die Trennung von Figur und Hintergrund wird uneindeutig und kaleidoskopartig vermengt. Wie ein Kleinkind, das ein Objekt durch Drehen, Wenden, Schleudern und In-den-Mund-stecken erforscht oder wie eine Katze, die am Fokus ihrer Aufmerksamkeit gezielt vor- beiguckt, erkunden wir absichtslos Eigenschaften und Verhalten des Materials und lassen die Spielregeln des Materials ablaufen. Man belauert das Material, um aufzudecken, wohin es sich entwickeln möchte. Indem wir jedoch absichtslos beiseitetreten, können wir das Material detailliert ausbuchstabieren. Der Drang sich lebendig zu fühlen, ein interessanteres und erfüllteres Leben zu haben, lässt uns Zukünfte imaginieren und Vorstellungen eines kommenden Lebens entwickeln. Bewusste Erkenntnisse sind komplette mentale Modelle im sinnlichen Raum – ein Gefühl des Daseins. Wir erkennen / erleben, dass das Wirkliche deshalb auch anders denkbar ist und nur ein Sonderfall des Möglichen ist. Daraus folgt, dass wir das Wirkliche umdenken müssen, um in mögliche Zukünfte vorzustoßen. Wie gesagt: Durch das Auflösen festgelegter Funktionen erleben wir Material, zu dem wir zuvor einen eher praktischen, weniger sinnlichen Zugang hatten, von einer bisher unbekannten Seite. Das Erkennen der Vorläufigkeit des Vertrauten erlaubt eine umwälzende Erweiterung der Eigenschaften. Gerade im Vergehen und im Übergang zu etwas Neuem befinden sich die Dinge (und ihre Bildlichkeit) in einer diffusen formalen Ordnung und versprechen zugleich Neues und Zeichenhaftes.

Projektförderung 2018/19
Sinn für Material – Material für die Sinne
Strukturen aus Myzelium für den Innenraum.
Forschungsprojekt und künstlerische Installation von Jonas Edvard, Industriedesigner, Kopenhagen.
Als schnell erneuerbarer, regenerativer und erschwinglicher, Kohlenstoff-freier Baustoff ist Myzelium ein hervorragendes Material zur Herstellung akustikabsorbierender Bauelemente und könnte neue Möglichkeiten für den Innenraumausbau bieten – so für das „Mycelium-Segel“.

Das stimuliert unsere Sinn- und Bildproduktivität in Richtung neuer Denk- und Handlungsweisen. Neugier drängt uns zum Erkunden und Erforschen der Eigenschaften des Materials und zur Suche nach Bildern, mit denen sich eine neue Sensibilität für die materiellen Zustände, in denen wir leben, vermitteln läßt. Eine dem angepasste Prozessgestaltung liefert Taktiken und Strategien von Spinn-Off und Fusion, von Up-, Re- und Pre-Cycling, also ein Operieren in neu zu gestaltenden Stoffwechselprozessen. Damit ist ein Konstruktionsvorgang angestoßen zu einer rationalen humanisierten Gestaltung, der ein ästhetisch-utopischer Mehrwert anhaftet. Über dieser Materialaneignung liegt die Aura eines Zukunftsversprechens.
Wo sich das bilderreiche Vor- und Frühbewusste und die akute Gewärtigkeit mit konkret-poetischen Zukunftsvorstellungen im Praktisch-Nützlich-Konstruktiven materialisiert, da findet die Idee ins Material.

Jonas Edvard Workshop
Projektförderung 2018/19

Sinn für Material – Material für die Sinne
Studie einer Segelkonstruktion aus Myzelium für den Innenraum.
Jonas Edvard und Samarbejde mit Arup Engineers, Design Museum Danmark
“Future is present”, Juni 2022 - Juni 2023.

Baukultur und Materialien 
Nicola Fortmann-Drühe

Baukultur betrifft die gesamte gebaute und gestaltete Umwelt. Also die gebaute Stadt, die geformte Landschaft und das Vorgefundene, das Erbe dieser Entwicklungen. Alle Lebensbereiche sind dabei eingeschlossen und diese sind nur unzureichend virtuell erlebbar, sondern sind greifbar, berührbar, unmittelbar.

Baukultur umfasst vielfältigen Lebensraum und ein komplexes Zusammenleben aller Milieus und prägt deren Identitäten. Die Entstehung einer Kultur des Bauens ist ideell, aber immer auch konkret, materiell, das heißt mit baulicher Umsetzung verbunden, also haptisch erfahrbar. Über die Jahrhunderte hat sich die Materialisierung einerseits gewandelt, andererseits bewahrt, gemäß den Erfordernissen und Bedürfnissen derer, die Städte, Landschaften, Gebäude beleben und nutzen, sei es als Schutz, Arbeitsraum, Lebensraum, gesellschaftliche Darstellung. Die globale Klimaveränderung gibt noch einmal mehr Anstöße, über die Materialien, in und mit denen wir künftig leben wollen, nachzudenken und sie zu erforschen.
Die Fritz und Trude Fortmann-Stiftung für Baukultur und Materialien
befasst sich mit dem Verhältnis von Baukultur und den Bedingungen ihrer Materialisierung. Sie fördert die Entwicklung zukunftsfähiger Baustoffe und Konstruktionsweisen sowie Forschungen zu den ökologischen, funktionalen und atmosphärischen Eigenschaften von Materialien.

Foto aus Projektförderung 2018/19
Sinn für Material – Material für die Sinne
Schaumhaus.
Schaum als raumbildendes Material
Prof. Martin Ostermann, Universität Stuttgart Institut für Baukonstruktion, Lehrstuhl 2, Fakultät für Architektur und Stadtplanung /Robolab: Mobin Moussavi.

Schaum ist eine Vielzahl von aneinander haftenden gasförmigen Bläschen, die von festen oder flüssigen Wänden eingeschlossen sind. Schaum hat keine Kanten, keine festen Umrisse, keine beschreibbare Form.
Er ist vergänglich, unbeständig, porös, löst sich auf. Schaum gibt auf Druck nach, ist leicht und weich. Während herkömmliche Baumaterialien wie Stein, Beton, lackiertes Holz, Putz etc. sich fast ausschließlich kalt anfühlen, strahlen geschäumte Oberflächen Wärme aus.

Materialien in Fülle
Mike Schlaich

Drei der zukünftigen großen Herausforderungen sind Bevölkerungs-
zuwachs, Ressourcenknappheit und Klimawandel und alle sind eng
verknüpft mit der Baubranche. Diese ist bekanntlich für ein Viertel aller CO-Emissionen verantwortlich. Somit sind insbesondere alle Bauschaffenden, also private und öffentliche Bauherren, die Bauindustrie, Architekten und Ingenieure, Wissenschaftler und Praktiker in besonderem Maße verantwortlich, aber auch befähigt, Veränderungen und gemeinsam Antworten auf den Weg zu bringen.

Plakat Ausschreibung
Material in Fülle
2020

Der aktuelle Aufruf der Stiftung, sich 'Materialien der Fülle' anzunehmen und diese auf ihren Energiekreislauf, auf ihre Einsatzmöglichkeiten sowie Umnutzung und Weiternutzung zu beforschen, ist ein wertvoller Anstoß, dessen vielfältige Antworten wertvolle Grundlage für kommende Generationen sein wird.
Der mittlerweile allgegenwärtige Paradigmenwechsel, dass nun auf die gesamte Bilanz der Energie, die bei Herstellung, Transport, Verarbeitung, Nutzung und Entsorgung von Baustoffen verbraucht wird, zu achten ist, hat einen enormen Forschungsschub bewirkt. Damit beschäftigen wir uns an den Hochschulen intensiv seit einigen Jahren, denn ohne Forschung keine Innovation. Nach dem Stand des Wissens zu bauen, bedeutet
Stillstand, und bereits Stillstand wäre heute Verschlechterung. Sich den Herausforderungen unserer Zeit zu stellen, bedeutet Überschreitung sowohl der Grenzen eines Regelwerkes als auch der Grenzen in unseren Köpfen. Nicht immer gilt es einen Werkstoff neu zu erfinden.
Innovation bedeutet auch, altbewährte Materialien so zu konstruieren oder aber so zu kombinieren, dass sie neue Eigenschaften annehmen und dadurch die Bedingungen einer zukunftsfähigen Bauweise erfüllen.

Ein solcher Baustoff ist beispielsweise Beton, der über viele Jahrzehnte in Fülle und fast unbegrenzt vorhanden schien, aber seit Beginn der Nachhaltigkeitsdiskussion als sehr kritisch angesehen werden muss, weil für die Herstellung klimaschädliches Zement benötigt wird. Knapp 10 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen werden allein durch die Zementherstellung verursacht. Zusätzlich werden Außenwände aus Beton fast immer mit dämmenden Werkstoffen so verbunden, dass am Ende des „live cycle“ nur Sondermüll übrigbleibt.
Andrerseits ist Beton formbar, fest und dauerhaft. Es ist ein Material mit vielen guten Eigenschaften. Dieser klassische Werkstoff hat also nicht ausgedient. So liegt es auf der Hand, einen neuen Beton zu finden, der tragfähig, formbar und dauerhaft ist, sich aber zugleich Temperaturen anpassen kann und darüber hinaus gestaltet werden kann, damit wir unseren Anspruch auf Baukultur bei all den Problemen nicht aus den
Augen verlieren. 

Vielleicht gibt es auch Materialien im Überfluss, deren Potenziale wir noch nicht ausgeschöpft haben. Hier eröffnen sich persönlich vor allem große Chancen auf dem Gebiet der Energie: Wenn wir einmal preiswerte,
erneuerbare und saubere Energie aus der Sonne im Überfluss haben, können wir Wärmedämmung sparen oder gar weglassen, und nur wenn das, was wir bauen, Lebensqualität erhöht und gute Gestaltung, also Ästhetik, nicht außer Acht lässt, haben wir es richtig gemacht. Fragen der Baukultur und Energieversorgung müssen also bei allen unseren Bestrebungen in Theorie, Forschung und Förderung hinsichtlich Material mitgedacht und berücksichtigt werden.

Materie / Ökologie
Susanne Hauser

Keine gestalterische Auseinandersetzung mit Materialien hat sich je dem Eigensinn des jeweiligen Stoffs und seiner spezifischen Dynamik entziehen können. Neomaterialistische Theorien, die aktuell in den Gestaltungsdisziplinen rezipiert werden, gehen nun in der Betonung der Dynamik von Materie einen deutlichen Schritt weiter, indem sie ihre prinzipielle Wirkmächtigkeit und spezifische Transformativität voraussetzen.

Projektförderung 2018/19
Sinn für Material–Material für die Sinne Strukturen aus Myzelium für den Innenraum.
Forschungsprojekt und künstlerische Installation von Jonas Edvard,Industrie-designer, Kopenhagen.

Keine gestalterische Auseinandersetzung mit Materialien hat sich je dem Eigensinn des jeweiligen Stoffs und seiner spezifischen Dynamik entziehen können. Neomaterialistische Theorien, die aktuell in den Gestaltungsdisziplinen rezipiert werden, gehen nun in der Betonung der Dynamik von Materie einen deutlichen Schritt weiter, indem sie ihre prinzipielle Wirkmächtigkeit und spezifische Transformativität voraussetzen. Diese Theorien befassen sich kaum je mit Gestaltung. Doch die Vorstellung einer wirkmächtigen und transformativen Materie ist für Gestaltungsprozesse interessant, weil sie unbrauchbar gewordene Oppositionen und Dualismen des abendländischen Denkens hinter sich lässt. Dazu gehören die Annahme eines Gegensatzes von passiver Materie und aktiver Form,
die Entgegensetzung von lebendigen, materiellen Körpern und immateriellem Geist, auch die Vorstellung beherrschter Natur und der sie beherrschenden Kultur, die sie als Materialressource versteht. Die Untauglichkeit dieser Konzepte springt ins Auge angesichts einer Situation, in der die Fähigkeiten zu materiellen Transformationen so groß sind wie noch nie, während sich zahlreiche für Menschen und andere Lebewesen schädliche Folgen einer Rückführung, Kontrolle oder Reparatur entziehen.

Es hat also gute Gründe, dass Materie und Stofflichkeit in Philosophie, Biologie, in den Kultur- und Sozialwissenschaften, in Kunst und Gestaltung Thema geworden sind. Schließlich werden die Umwelteffekte bisheriger materialer Transformationen immer deutlicher, und die Endlichkeit zahlreicher Ressourcen steht klar vor Augen. Und weitere Prozesse legen Auseinandersetzungen mit Materie, Material und Stofflichkeit nahe: Entwicklungen der Genetik verändern das Verhältnis zu lebendiger Materie, organischen Stoffen und ihren Manipulationen, und digitale Optionen haben die Frage nach dem Realen neu gestellt. Die auch mit diesen Prozessen unterstützte Annahme einer Relationalität und Verwobenheit von Materialien, Körpern, Dingen und allen Bedingungen in den Prozessen, in denen sie zusammen auftreten und fungieren, ist ein Gedanke, der Gestaltungsprozessen einen produktiven Ausgangspunkt gibt. Die Idee passiver Materie hat ausgedient, die Annahme ihrer Wirkmächtigkeit kann neue ökologisch kluge Perspektiven eröffnen.

Eigenlogik und Ideologie der Baustoffe
Michael Mönninger

Eine der schönsten Denkfiguren von Aristoteles kreist um den Begriff „Entelechie“: Danach wohnt jedem Stoff eine Kraft inne, die ihn zu einer idealen und optimalen Formbildung im Sinne seiner Selbstverwirklichung treibt. Man könnte es auch zeitgemäßer als die Selbstorganisation der Materie bezeichnen oder als ihre morphogenetische Dimension, die vom Handwerker und Künstler fordert, ins Material hineinzuhören. Das schließt verblüffend an die avancierte Diskussion in der heutigen Designforschung und Materialwissenschaft an, die das selbsttransformative Potenzial von Materialien untersucht, um ihre Eigenlogik und intrinsische Vitalität zu erkunden. In der aktuellen Entwurfstheorie zwingt die Gestaltung den Dingen keine Form mehr auf, sondern entlockt sie gleichsam der Materie. Demnach bilden Mensch und Materialien in Produktion und Gestaltung eine Partnerschaft, weil die Dinge nicht tot sind, sondern widerständig, eigendynamisch und handlungsmächtig.

Projektförderung 2016/17
Kostengünstige Baustoffe und Konstruktionsweisen für den Wohnungsbau
NAVAPA - Nachhaltige Verbundbauteile aus Papierwerkstoffen.
Prof. Rainer Gumpp / Dr.-Ing. Stephan Schütz, Bauhaus-Universität Weimar, Professur Entwerfen und Tragwerkskonstruktion

Schon Gottfried Semper hatte dieses Grundgesetz der Gestaltung erkannt, als er Stil als das definierte, was gleichermaßen dem Gebrauchszweck und dem Material entspricht. Henry van de Velde ging weiter und entdeckte in der Eigendynamik der Materialbearbeitung sogar einen selbsttransformativen Drang zur Entstofflichung. Kein Werkstoff an sich sei schön, schrieb er 1910, vielmehr entstehe der ästhetische Genuss erst mit der Verlebendigung des Materials durch künstlerische Bearbeitung: „Die Entwicklung eines Stoffes vollzieht sich in einer Folge von Erscheinungen, durch welche er den Ausdruck seiner vollkommensten Entmaterialisierung verfolgt.“

Eine materiale Kunst- und Architekturgeschichte, die dem Einfluss der Baustoffe auf die Formen und Stile nachgeht, muss noch geschrieben werden. Ebenso ungeklärt ist die Frage, ob es einen technischen Determinismus der Materialien gibt. Zumindest heutigen Bauwerken mit ihren vorgehängten Fassaden kann man nicht mehr ansehen, ob sie von Holz-, Stahl oder Betonkonstruktionen getragen werden. Auch die traditionelle Hierarchie der Werkstoffe – Mauerwerk, Holz, Beton und Eisen – ist nivelliert. Zudem kommen beim Bauen derart viele Materialien zur Anwendung, dass nur noch geschulte Bauphysiker zwischen den neuen, flexiblen Verbundwerkstoffen und den traditionellen Stein- und Stahlsorten, zwischen getönten Glasfassaden und gefärbten Metallpaneelen unterscheiden können.

Das führt zu neuen Freiheiten, aber auch zu neuer Willkür. Deshalb hat die Fortmann-Stiftung ihren Schwerpunkt auf die Förderung von Projekten zur Erforschung von Stoffherstellung und Materialverwendung gelegt. Es geht um ein Korrektiv, damit der schöne Traum von einem progressiven, selbstorganisierten Eigenleben der Werkstoffe nicht in Techno-Magie und Material-Fetischismus umschlägt. So faszinierend die antike Idee der Entelechie bleibt: Es bleibt die Gefahr, aus Werkstoffen nur das herauszuhören, was man vorher hineingelegt hat. Deshalb unterstützt die Fortmann- Stiftung engagierte wissenschaftliche und künstlerische Grundlagenforschungen, die die ökonomische Rationalität der Materialverwendung mit gesellschaftlichen Ansprüchen an eine nachhaltige Baukultur
verbinden.